Darf „Judensau“ weiter an Wittenberger Stadtkirche prangen?

An der Wittenberger Stadtkirche, wo einst Martin Luther wirkte, verhöhnt eine Plastik seit 700 Jahren das Judentum. Ein Kläger der jüdischen Gemeinde will, dass die traurige Berühmtheit nun beseitigt wird. Eine Entscheidung fällt in sieben Wochen.

Das mittelalterliche Schmäh- und Spottbild auf die Juden an der Wittenberger Stadtkirche St. Marien.

Das mittelalterliche Schmäh- und Spottbild auf die Juden an der Wittenberger Stadtkirche St. Marien. Quelle: Foto: Norbert Neetz/epd
Dessau/Wittenberg,

„Es ist eine Judensau, und die wird es immer bleiben!“ Mit diesen scharfen Worten reagierte Rechtsanwalt Hubertus Benecke am Donnerstag am Landgericht Dessau-Roßlau auf die nach seiner Ansicht verharmlosende Umschreibung eines mittelalterlichen Reliefs an der Wittenberger Stadtkirche durch Pfarrer Johannes Block, der in der Verhandlung lediglich von einer „Schmähplastik“ gesprochen hatte.

Stein des Anstoßes für diesen Rechtsstreit ist eine Sandsteinskulptur in vier Metern Höhe an der zum Unesco-Weltkulturerbe gehörenden Wittenberger Stadtkirche. Sie stellt eine Sau dar, an deren Zitzen sich Menschen laben, die Juden darstellen sollen. Ein Rabbiner blickt dem Tier unter den Schwanz und in den After. Der von Benecke vertretene Kläger Michael Düllmann ist Mitglied der jüdischen Gemeinde Shalom in Berlin und sieht in dieser Darstellung eine Verhöhnung des Judentums. Mit seiner Zivilklage gegen die Stadtkirchengemeinde will er erreichen, dass die umstrittene Plastik beseitigt wird, um sie beispielsweise einem Museum wie dem Lutherhaus in Wittenberg anzubieten.

Missachtung bleibt nach jetziger Lage fraglich

Zwar soll die Entscheidung darüber, ob die vor 700 Jahren von unbekannten Händen gefertigte Plastik demontiert werden muss, erst in sieben Wochen verkündet werden, doch ließ Richter Wolfram Pechtold bereits am Donnerstag eine erste Tendenz erkennen. Da es sich wohl nicht um eine Formalbeleidigung handle, komme das Gericht zu dem vorläufigen Ergebnis, „dass zweifelhaft erscheint, ob die Klage Erfolg haben wird“.

Der Richter räumte ein, dass es sich bei dem Relief um eine „zweifellos unschöne bildliche Darstellung“ handle, die nicht gutzuheißen sei. Ob sie aber eine objektive Beleidigung darstelle, müsse aus heutiger Sicht bewertet werden. Vor diesem Hintergrund erscheine es fraglich, ob durch das Relief als Bestandteil eines historischen Baudenkmals „in einem solchen objektiven Sinne tatsächlich eine Kundgabe der Missachtung vorliegt“, betonte der Richter.

Antijudaismus noch zusätzlich betont

Klägeranwalt Benecke erklärte, dass durch das Relief und seine später hinzugefügte Inschrift auch heute alle Menschen jüdischen Glaubens verhöhnt würden. Die angeblich auf Luthers Geheiß hinzugefügte Inschrift „Rabini Schem HaMphoras“, ein Verweis auf den unaussprechlichen Namen Gottes bei den Juden, betone noch den Antijudaismus der Darstellung. Dadurch sei nach Ansicht der Kläger „die Grenze zur Formalbeleidigung deutlich überschritten“. Dadurch, dass die Plastik vor 30 Jahren restauriert wurde, sei sie jetzt auffälliger als Dutzende ähnliche Darstellungen in Europa.

Der Anwalt der evangelischen Stadtkirchengemeinde, Jörg Ellermann, betonte, die Gemeinde sei sich seit Jahrzehnten ihrer moralischen Verpflichtung bewusst und beschäftige sich intensiv mit der Frage, wie mit dem schwierigen Erbe umzugehen sei. Im Falle einer Entfernung bestehe für die Gemeinde zudem die Gefahr, sich dem Vorwurf der Geschichtsklitterung auszusetzen. Eine Formalbeleidigung sei nicht erkennbar. Die Stadtkirchengemeinde ließ 1988 eine Bodenplatte mit historischer Einordnung unterhalb des Reliefs anbringen. Der Wittenberger Stadtrat sprach sich Mitte 2017 für einen Erhalt der Plastik aus. Er wertete die Bodenplatte als Mahnmal und ließ zusätzlich eine Stele mit Erklärtexten auf Deutsch und Englisch aufstellen.

Schweres Erbe nicht entsorgen

In der Stadtkirche sei niemand glücklich über die Schmähplastik, hatte Pfarrer Block in der Verhandlung erklärt. Aber ein verantwortungsvoller Umgang mit Geschichte sei nicht durch bloße Entsorgung ihrer Zeugnisse sinnvoll. Er wolle sich mit seiner Gemeinde im Kontakt mit der Jüdischen Gemeinde dafür einsetzen, „diese Stätte der Mahnung weiterzuentwickeln. „Die Diskussion darüber, was wir mit diesem schwierigen Erbe anzufangen haben, ist im Fluss“, sagte Block.

Der 76-jährige Kläger Düllmann zeigte sich entschlossen, sein Ziel erreichen zu können. „Die Judensau beleidigt, verhöhnt und verletzt mich und alle anderen Juden“, sagte er. Vor allem in Zeiten eines wieder anschwellenden Antisemitismus in Deutschland dürfe solche Verhöhnung nicht öffentlich gezeigt werden. Die Plastik muss weg. Das ist nicht verhandelbar!“, so der Kläger. „In der Kirche ist kein Platz für Judenspott!“

Pechtold räumte den Streitparteien eine Frist bis zum 3. Mai ein, um auch zu der bislang unterbelichteten Frage Stellung zu nehmen, ob der Streit womöglich den „Kernbereich kirchlichen Wirkens“ betreffe. Falls das Gericht zu diesem Schluss käme, müsste die damit öffentlich-rechtliche Streitigkeit ans zuständige Verwaltungsgericht verwiesen werden.

Von Winfried Mahr

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