Ich hatte es gestern auf der Autobahn im Radio gehört: Irgendwas mit der Schweiz und einem Minarettbauverbot, das laut dem Ergebnis einer Volksabstimmung in die Verfassung aufgenommen werden soll. Die Meldung war nur ein Satz und ohne weiteren Kommentar. Kein Hinweis darauf, daß so etwas gegen das Prinzip der Religionsfreiheit verstößt und bei einem in Europa ansässigen Land nicht hingenommen werden kann.
57% für die Verfassungsänderung bei 50% Wahlbeteiligung waren die einzigen weiteren Informationen in jener Meldung. Kein Hinweis darauf, daß die eigentliche Meldung also die ist, daß sich die Schweiz erneut mit ihrem Wahlsystem blamiert hat.
Wenn ich das Thema heute in der taz nachlese, erfahre ich, daß die Initiative von der "rechtspopulistischen SchweizerischenVolkspartei" gestartet und von allen Religionsgemeinschaften inkl. der christlichen Kirchen abgelehnt wurde. Es ging also nicht um das Mein-Kirchturm-muß-der-größte-sein-Prinzip, sondern um politischen Hass. Auch die Plakate verdeutlichen das: Sie stellen Minarette als islamistische Terror-Raketen dar, obwohl es in der gesamten Schweiz nur vier Minarette gibt.
Einigermaßen schockiert war ich gewesen, gestern auf der Autobahn, über die Kommentarlosigkeit jener Meldung. Noch mehr schockiert bin ich aber heute über den (zufällig) ersten Kommentar, den ich darüber lese: "Respekt für die Schweiz!" steht da, und er ist von Aaron Koenig, einem Mitglied im Bundesvorstand der Piratenpartei. Ich bin ebenfalls Mitglied der Piratenpartei und möchte mich hiermit nachdrücklich von der persönlichen Meinung von Aaron Koenig distanzieren.
Er schreibt: "Eine politisch-totalitäre Bewegung, die sich anderen Glaubens- und Denkrichtungen überlegen fühlt und den Anspruch hat, Andersdenkende zu bekehren und gegebenenfalls zu töten*, steht hingegen nicht unter dem Schutz der Religionsfreiheit - denn Freiheit geht immer nur so weit, wie sie die Freiheit eines anderes nicht verletzt."
Wohlbemerkt: Er meint den Islam.
Ich bin kein ideologisch verblendeter Grüner, der eine politische Förderung von menschenverachtenden Parallelgesellschaften auf islamistischer Basis gutheißen möchte. Aber darum geht es hier ja auch nicht. Es geht hier um ein religionsdiskriminierendes Bauwerkverbot als politisches Symbol rechten Hasses. Hier zu sagen "Respekt für die Schweiz!" ist eine rechtsradikale Aussage.
Ich kam gestern auf der Autobahn von einer ganztägigen Klausurtagung der Piratenpartei, auf der auch darüber gesprochen wurde, wie es in Öffentlichkeit und Presse ankommt, daß sich die Piraten auch weiterhin ausdrücklich nicht im links-rechts-Spektrum positionieren wollen. Ich war und bin unglücklich mit dieser Aussage, denn damit verliert die Partei die Möglichkeit, sich gegen rechts abzugrenzen. Und sie behält Leute wie Aaron Koenig im Bundesvorstand, der auch bisher u.a. mit Beiträgen wie "Linke hassen - Piraten lieben" genauso penetrant Linksbashing betrieb wie er immer wieder den Rechten huldigt.
Es muß natürlich jede Meinung gesagt werden dürfen. (Ich habe gestern sogar jemanden sagen gehört, die FDP würde Arbeitsplätze schaffen, und selbst das ging als Meinung durch und blieb unkommentiert stehen.) Aber wer wiederholt rechtsradikale Gesinnung und Linkenhass über sein Blog publiziert, der ist als Bundesvorstandsmitglied ein Problem für seine Partei. Auch und gerade wenn im Blog steht "Die Artikel in diesem Blog geben die persönliche Meinung des Autors wieder und sind keine offiziellen Statements der Piratenpartei Deutschland."
Mir fallen viele Dinge ein, die ich hier jetzt noch anläßlich der Minarett-Geschichte schreiben könnte: Ich könnte über Direkte Demokratie und/oder über Liquid Democracy sinnieren, über das katastrophale Wahlsystem in der Schweiz und über die Diskussion bei den Piraten zu diesen Themen. Oder ich könnte das Thema Islam aufgreifen und Jan Philipp Reemtsma aus "Muss man Religiosität respektieren?" zitieren, der allen Religiösen "einen privilegierten Zugang zur Wahrheit" attestiert und (Erlöser-)Religionen allgemein nur in einem "Waffenstillstand auf Zeit" mit der säkularen Gesellschaft sieht -- und dadurch belegt, daß sich Christentum und Islam in ihrer Radikalität gar nicht unterscheiden. Oder ich könnte das Thema Meinungsbildung aufgreifen (Stichwort Volksabstimmung), die bei bestimmten Kombinationen von Bildungshintergrund und Medienkompetenz über das Internet heute noch möglich ist, während Meinung über Print und Fernsehen nur noch gemacht wird. Und mit welchen Mitteln die Machthaber daran arbeiten, diese Meinungsbildungsmöglichkeit auszuhebeln und inwiefern sich die Piratenpartei dem entgegenstellt.
Ich lasse das alles aber und beschränke mich auf den mir heute wichtigsten Punkt: Hier positioniert sich ein Pirat (ich) nachdrücklich gegen rechte Positionen!
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