Reformator feiert am Donnerstag 533.Geburtstag
Schorlemmer zu Luthers Geburtstag: "Er hat den Leuten aufs Maul gehauen!“ - Teil 1
Luther-Verehrer feiern am Donnerstag den 533. Geburtstag ihres Idols. Im dicht gedrängten Festjahr „500 Jahre Reformation“ droht dieser Termin aber unterzugehen. Der Wittenberger Theologe Friedrich Schorlemmer erinnert an Luthers Geburtstag – und findet erstaunlich aktuelle Bezüge. Wir veröffentlichen den Essay in zwei Teilen.
Hier Teil 1:
Wittenberg. Martin Luther, in die Kämpfe seiner Zeit verwickelt, wusste: „Wer mit Dreck rammelt – er gewinne oder verliere -, so geht er doch immer beschissen davon.“ Martin Luther redet deutsch, selbstbewusst und geradezu, kräftig und deftig, polemisch und poetisch, weit hinausgreifend und tief ins Innere treffend. Der versteht was vom Leben. Der hat Ängste durchlebt, Brüche durchstanden und Aufbrüche gewagt, wurde auf den Schild erhoben und in den Orkus gestürzt. Er war hocherfreut und tiefbetrübt. Auf den Sockel wollte man ihn stellen, immer wieder. Er hat es sich verbeten. „Zuerst bitte ich, man wolle meinen Namen weglassen und sich nicht lutherisch, sondern Christ nennen. Was ist Luther? Die Lehre ist doch nicht von mir. Wie käme denn ich armer stinkender Madensack dazu, dass man die Kinder Christi nach meinem heillosen Namen nennen sollte? So nicht, liebe Freunde. Lasst uns die Parteinamen ablegen und uns Christen nennen.“
Das Neue Testament „ein gut Geschrei“
Seine Bücher nennt er die Produkte seiner nächtlichen Schreiberein. Seinen Lebenssinn meinte er erfüllt zu haben, wenn er einem einzigen Laien mit all seinem Vermögen zur Besserung gedient hätte. Auch wenn er die 95 Thesen nicht angenagelt haben sollte, so hallten doch die Hammerschläge durch halb Europa.
Ein Augustinermönch aus dem Provinznest in Dunkeldeutschland erhob seine Stimme gegen das mächtig-prächtige Rom, ein Rom, das mit der Angst vor dem Fegefeuer Geld für den Petersdom und für die Schuldenbegleichung des Mainzer Kardinals Albrecht eintrieb. Gott wurde so zum Schacherer in einer Geld-Welt gemacht, in der „alles in der Habsucht ersoffen ist wie in einer Sintflut.“
„Der Pöbel hat und kennt kein Maß“
Martin Luther hat sich lebenslang in die Bibel versenkt und fand, dass das Neue Testament „ein gut Geschrei“ und „eine gute Mär sei“, davon man singen und sagen soll. Von dem angstmachenden Gott-Vater hatte sich dieser lange selbst kasteiende Augustinermönch in einem quälenden Erkenntnisprozess gelöst, bis er entdeckte, dass Gottes Gerechtigkeit keine Forderung, sondern eine Gabe für den Menschen ist.
Allein aus Gnade. Allein aus Glauben. Allein durch Christus. Allein mit der Schrift. Alles andere ist zweitrangig. Alles andere folgt daraus. Gott ist dem Menschen gut, und dieser kann nun das Rechte und Gute tun. Zuspruch steht prinzipiell vor jedem Anspruch.
Der Mensch Luther steht uns als ein so frommer wie sinnenfroher, ein so gradliniger wie widersprüchlicher Mensch vor Augen. Er hat den Leuten nicht nur aufs Maul geschaut, er hat ihnen auch aufs Maul gehauen. „Man darf dem Pöbel nicht viel pfeifen, er tollt sonst gern, und es ist eher billig, ihm zehn Ellen abzubrechen als eine Handbreit. Der Pöbel hat und kennt kein Maß, und in jedem stecken mehr als fünf Tyrannen.“ Deshalb sei es besser, von e i n e m Tyrannen Unrecht zu erleiden als von unzähligen Tyrannen, d.h. vom Pöbel. Also: Ordnung vor Chaos, Gehorsam vor Aufruhr!
Wahlvolk merkt es heute: Regierung wird nicht besser, nur anders
Nach jeder Wahl spüren es Regierung wie Wahlvolk, wie recht Luther 1526 hatte, als er schrieb: „Obrigkeit ändern und Obrigkeit bessern sind zwei Dinge, so weit voneinander entfernt wie Himmel und Erde. Der tolle Pöbel fragt nicht viel, wie es b e s s e r werde, sondern dass es nur a n d e r s werde. Wenn‘s dann ärger wird, so will er abermals etwas anderes haben. So kriegt er denn Hummeln für Fliegen und zuletzt Hornissen für Hummeln.“
Sein Überleben verdankt er in kritischer Zeit nicht zuletzt der Standhaftigkeit zweier sächsischer Kurfürsten, die ihn allezeit und diplomatisch klug beschützten – wiewohl Luther sich in viel höherem Schutz geborgen weiß.
Wenn es denn nicht vorangehen will mit Land und Leuten, ja wenn es im Krebsgang geht, so soll man bekennen, dass wir “Narren und elende Hümpler mit unserem Tun und Kunst“ sind – und Gott allein Weisheit und Ehre geben sollen. Schließlich bleibt doch die Zuversicht: „Es glühet und glänzet noch nicht alles, es bessert sich aber alles.“
Den Teufel? „Man weise ihn mit einem Furz ab!“
Jeder Mensch habe die Hölle in sich. Und von alleine kommt keiner raus. Täglich - abends und morgens - betet er: „Dein heiliger Engel sei mit mir, dass der böse Feind keine Macht an mir finde.“ Was dir im Nacken sitzt, wird für dein Tun entscheidend. Immerzu hat er es mit dem Teufel, dem Diabolus, zu tun, diesem großen Durcheinanderbringer, diesem Tausendkünstler, der einen ständig irre und zu Tode traurig machen will, in Zweifel und Verzweiflung stürzt. Man habe ihn ernst zu nehmen und spotte seiner zugleich. Wenn alles Beten und Disputieren nichts mehr hilft, „so weise man ihn als Zeichen der Verachtung mit einem Furz ab“ und drehe sich um. „Und wenn die Welt voll Teufeln wär und wollt uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr, es soll uns doch gelingen.“ So dichtet er in der von Heinrich Heine sogenannten „Marseillaise der Reformation“.
Wenn Friede ist, regiert die Musik. Und wo keine Musik ist, da hat der Teufel leichtes Spiel, denn „der Teufel ist ein trauriger Geist und macht traurige Leute. Darum kann er Fröhlichkeit nicht leiden. Daher kommt’s auch, dass er vor der Musica aufs weiteste flieht! Er bleibt nicht, wenn man singt. Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Fröhlichen traurig, die Verzagten herzhaftig zu machen, die Hoffertigen zur Demut zu reizen, den Neid und den Hass zu mindern, denn die Musik.“ Also dichtet und komponiert er, spielt im häuslichen Kreise zur Laute.
„Papst ein Aas, deutsche Bischöfe nur Nullen“
Zugleich hielt er in der Polemik seiner Zeit kräftig mit. Rom nannte er ein totes Aas, und die deutschen Bischöfe sah er gegenüber Rom dasitzen „wie die Nullen“. (Wenn man mit ansehen muss, wie sich der Römische Karol und der Trierer Marx - jetzt Kardinal in München - gegenüber den Saarbrücker Hasenhüttl anno 2003 verhalten haben, kann man Luther nur dankbar bleiben, dass es mehrere Optionen für christliche Gemeinde in der Gestalt verschiedener – und zugleich im Innersten verbundener – Kirchen gibt.)
Was Luther aufbrachte und ihn zu seinem spektakulären Thesenanschlag brachte, war offenkundiger Missbrauch des Gottesnamens, die Verdunkelung der Jesusbotschaft, das Geschäft mit der Angst, bis man Gott geradezu zu einem Schacherer macht, dessen Wohlwollen man sich kaufen oder verdienen könne oder eben in Dauerangst vor Hölle und Fegefeuer sein Dasein fristen müsse. Die „Wahrheit“ braucht einen Maßstab. Das ist die Bibel und innerhalb der Bibel ist es die Frage, was zu Christus passt: „Was Christum treibet!“ Das gilt und bleibt gültig.
Bann gegen Luther gilt weiter, kein Gastgeschenk des Papstes
Die Priesterweihe als Sakrament, die ganze Kirchenhierarchie und die höheren Autoritätsansprüche des Papstes lehnt er ab. Päpste können irren, auch Konzilien. Dagegen kann ein einzelner Recht haben, selbst wenn er als Ketzer verbrannt wird. (Übrigens ist der Bann gegen Luther bis heute nicht aufgehoben. Dieses „Gastgeschenk“ hätte Benedikt XVI. bei seinem Besuch in Erfurt 2011 als Zeichen einer sich versöhnenden Kirche „getrost“ mitbringen können. Aber der wollte uns Protestanten ja gar nicht als Kirche gelten lassen. Welch ein neuer Geist ist mit Franziskus eingekehrt!)
Wir sind Papst? „Das hat Luther schon 1520 geschrieben!“
„Was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, dass es schon zum Priester, Bischof und Papst geweiht sei.“ Wenn BILD seinerzeit zur Wahl Kardinal Joseph Ratzingers 2005 getitelt hatte „Wir sind Papst!“, so hat dies Luther 1520 bereits behauptet, nur in ganz anderem Sinne: Höhere Würden als das Getauftsein gibt es nicht – ein Getaufter ist bereits „Priester, Bischof, Papst“ – „wiewohl es nicht einem jeglichen geziemt, solches Amt auszuüben.“ Und jeder Mensch ist vor Gott in seinem Beruf als ein Begabter, also mit einer spezifischen Gabe Ausgezeichneter, gewürdigt. Vor Gott gelten unsere menschlichen „Rangabzeichen“ nicht.
* Friedrich Schorlemmer (72) ist Theologe und einer der profiliertesten Protestanten in Deutschland. Der Wittenberger war zu DDR-Zeiten ein bekannter Bürgerrechtler, unter seiner Verantwortung fand zum Kirchentag 1983 die berühmte Schmiedeaktion „Schwerter zu Pflugscharen“ im Wittenberger Lutherhof statt. Schorlemmer, der trotz einiger Kritik weiter SPD-Mitglied ist, gehört seit 2009 dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac an.
Von Friedrich Schorlemmer*
Reformator am Donnerstag vor 533 Jahren geboren Schorlemmer zu Luthers Geburtstag: „Polemik gegen Juden bleibt schwere Bürde“ – Teil 2
Luther-Verehrer feiern am Donnerstag den 533. Geburtstag ihres Idols. Im dicht gedrängten Festjahr „500 Jahre Reformation“ droht dieser Termin aber unterzugehen. Der Wittenberger Theologe Friedrich Schorlemmer erinnert an Luthers Geburtstag – und findet erstaunlich aktuelle Bezüge. Wir veröffentlichen den Essay in zwei
Teilen.
Hier Teil 2:
Wittenberg.. Überaus hoch schätzt Luther die menschliche Arbeit: „Von der Arbeit stirbt kein Mensch, aber vom Ledig- und Müßiggehen kommen die Leute um Leib und Leben. Denn der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen.“ Man bedenke solche Sätze auf dem Hintergrund unserer strukturellen Massenarbeitslosigkeit und dem inzwischen über dreißig Jahre dauernden Rentnerdasein.
Die Würde des einzelnen Menschen ist unantastbar. Die Wahrheit macht frei. Sie braucht den Dialog, statt mit dem Argument der Macht die Macht der Argumente abzuwürgen. Luther hält seinen Hals für seine Überzeugungen hin. Gegen das Gewissen zu handeln, ist unheilsam und gefährlich.
„Macht kaputt, was euch kaputt macht“
„Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.“ Das hat er nicht gesagt, sich aber so verhalten. Was in Worms auf dem Reichstag 1521 geschah, sollte Geschichte machen. Ein Einzelner behauptet sich vor aller Öffentlichkeit, vor der kirchlichen und der weltlichen Macht. Er kommt mit Haltung, mit seiner Haltung, durch.. Eine Woge der Zustimmung seiner „lieben Deutschen“ trägt ihn, doch bleibt er ganz ein einzelner. Sein Mut macht Mut. Die päpstliche Bannandrohungsbulle, die ihm bei Verweigerung seines Widerrufs das Schicksal des Jan Hus androht, verbrennt er. Im Dezember 1520 entfacht er ein Freudenfeuer der Befreiung! „Macht kaputt, was euch kaputtmacht“, hieß es 450 Jahre später.
Eine zentrale biblische Erkenntnis kommt dem Befreiten (aus Luder wird Luther, das dem Griechischen „eleutherios“ als „der Befreite“ nachempfunden ist) nie aus dem Sinn: Es gibt keine Freiheit ohne Verantwortung für den Nächsten. Der Glaube wird in der Liebe tätig. Einer soll dem anderen zum Christus werden. Ein freier Herr aller Dinge ist der Christ (als ein von Gott Freigesprochener) und ein dienstbarer Knecht aller Dinge bleibt er (als einer, der seinem Mitmenschen verpflichtet ist).
Von Flegeln und Grobianen regiert?
Das Neue Testament übersetzt er in seiner Zwangsklausur auf der Wartburg in nur elf Wochen und findet darin einen Ton, der die Leute an- und aufrührt. Sein Deutsch wird sprachbildend, seine Redeweise sprichwörtlich: „Keiner soll sein Licht unter den Scheffel stellen. Der Glaube versetzt Berge. Unser Wissen ist Stückwerk. Auf dem Jahrmarkt des Lebens gilt es, die Zeichen der Zeit zu erkennen.“
Die Bibel wird als Volksbuch ein Befreiungsbuch. Der einzelne Christ soll mitbestimmen, unterscheiden und beurteilen lernen. Dazu muss eine allgemeine Bildung her. Oder „soll man denn zulassen, dass lauter Flegel und Grobiane regieren, wenn man‘s sehr viel besser machen kann? Da lasse man doch lieber gleich Säue und Wölfe zu Herren machen und über die setzen, die nicht darüber nachdenken wollen, wie sie von Menschen regiert werden.“ Wenn Menschen aber nichts weiter lernen, „als Nahrung zu suchen und wie eine Sau mit der Nase im Kot zu wühlen“, dann müssten wir „gewiss von Sinnen sein oder unsere Kinder nicht richtig lieb haben“.
Kinder sollen Zeit haben zum Balgen
Wie Strauße würden sich viele Eltern verhalten, die es dabei bewenden lassen, „dass sie ihre Eier von sich geworfen und Kinder gezeugt haben – mehr tun sie nicht dafür.“ Kinder müssten einerseits Zeit haben für ihr Kügelchenschießen, Ballspielen, Laufen, Balgen und Tanzen. Andererseits seien sie zur Mühe des Lernens heranzuziehen. Aber ohne Angst und Prügel. Sekundärtugenden bewähren den Alltag der Primärtugenden.
Die erste kommunale Sozialkasse wird in Wittenberg eingerichtet. Luther polemisiert in schärfster Form gegen Auswüchse von Zins und Wucher. Auch was legal ist, ist längst noch nicht legitim. Er geißelt eine ökonomische Praxis, in der die Bereicherung der einen zur Verarmung der anderen führt. Dabei hält Luther redlichen Handel und Gewinn keineswegs für verwerflich. „Dass Kaufen und Verkaufen eine notwendige Sache ist, kann man nicht leugnen.“ Aber das Marktgeschehen verlottert, wo Habsucht zur Preistreiberei führt, wo die Monopolbildung andere in den Ruin treibt, wird Luther unerbittlich. „Solche Leute sind es nicht wert, Menschen zu heißen oder unter Menschen zu wohnen.“
Vorwurf: Reformation nur wegen der Weiber gemacht
Vor nichts anderem schien Luther mehr Sorge zu haben als vor dem Vorwurf, die ganze Reformation hätte er nur wegen der Weiber gemacht, um sich selber schließlich auch eine zu nehmen. Er zögert lange, ist voll Angst, dass aus der Verbindung zwischen Mönch und Nonne ein kleines Teufelchen werden könnte, wie es ein verbreiteter Aberglaube verbreitete. Er nimmt schließlich im Juni 1525 die noch übriggebliebene, recht selbstbewusste Nonne Katharina von Bora zur Frau – ausgerechnet unmittelbar nach dem grausigen Bauernkrieg. Ein Signal für die Priorität des Privaten, der bürgerlichen Alltagsexistenz gegenüber gesellschaftlichen Gestaltungsfragen?
Ein Leben führen die beiden, das vorbildhaft werden sollte. Sie führt den Haushalt und er das Wort. Nicht genug kann er sich wundern, dass er nun, wenn er im Bette erwacht, ein Paar Zöpfe neben sich liegen sieht „Die erste Liebe“, schreibt er, „ist fruchtbar und heftig, damit wir geblendet werden und wie die Trunkenen hineingehen.“ Sechs Kinder haben Katharina und Martinus miteinander, erleben Glück, durchleiden bittersten Verlustschmerz. So gern er mit allen Sinnen lebt, so oft ist er krank. Lebenslang plagen ihn – wohl durch damalige Ernährungsgewohnheiten wie psychosomatisch bedingte – Verdauungsprobleme, Nieren und Blasensteine.
Der Biertrinker Luther wettert gegen Bierbrauer
Seine Tischgespräche sind legendär. Allein davon gibt es zehn fulminante Bände in der sogenannten „Weimarer Ausgabe“ seiner Werke. Für Sinnsprüche hat er ein Faible: „Iss, was gar ist. Trink, was klar ist. Sag, was wahr ist.“ Er versteht es, sich subtil theologischer Begriffe zu bedienen. Viel lieber aber drückt er sich in ganz alltäglicher Sprache aus: „Lass einen jeden sein, der er ist, so kannst du wohl auch bleiben, der du bist.“ „Einen Baum, davon man Schatten hat, davor soll man sich verneigen.“
Der Biertrinker Luther wettert fortgesetzt gegen die deutsche Trunksucht. „Ich habe oft den ersten Bierbrauer verflucht. Es wird mit dem Bier so viel Gerste verdorben, dass man ganz Deutschland davon erhalten möchte. Und das soll alles so verderben, dass wir so schändliche Jauche daraus machen, welche wir danach an die Wand pissen?“ Zugleich möchte er seinem „lieben Deutschland“ dienen und mit dafür sorgen, “dass man uns für treue, wahrhaftige beständige Leute hält, die da Ja Ja und Nein Nein haben sein lassen.“
Um den Erbstreit zwischen zwei Mansfelder Grafen zu schlichten, reist er im bitterkalten Februar 1546 in seine Geburtsstadt Eisleben. Er ist bereits sehr krank. Er hatte geglaubt, wer den neuen Glauben angenommen hat, der müsse und könne auch vom alten Denken freiwerden und dürfe sein Herz nicht an zeitlich Gut hängen und bis aufs Messer ums Erbe streiten. Gott nennt er das, „woran du dein Herz hängst.“ So hatte er es im Großen Katechismus eingeschärft.
Gewaltaufrufe gegen Bauern schwer begreiflich
Schwer begreiflich bleiben indes einige seiner Verirrungen, die schrecklichen Entgleisungen in seiner Polemik gegen die Juden, seine zum Exzess stimulierenden Gewaltaufrufe gegen die aufständischen Bauern, seine Unerbittlichkeit gegenüber den Wiedertäufern sowie seine Ausfälle gegen Rom (das ihm freilich auch nichts schenkte), er wird sie selber vor Gott zu verantworten haben. Sie bleiben eine schwere Bürde für alle, die in Lutherischer Glaubenstradition stehen.
Wenige Tage vor seinem Tode hatte er seiner lieben Hausfrau Katherine als “Euer Heiligkeit williger Diener M.L.“ noch eingeschärft, dass er beinahe wegen ihrer Sorge gestorben wäre „denn seitdem Ihr für uns gesorgt habt, wäre uns gestern, ohne Zweifel Kraft Eurer Sorge, schier ein Stein auf den Kopf gefallen und hätte uns zerquetscht wie eine Mausefalle. Bete Du und lass Gott sorgen.“
In unseren wiederum sehr kriegerischen und dafür den Namen Gottes abermals missbrauchenden Zeiten bleibt Luthers weise Mahnung hochaktuell: „Wer zwei Kühe hat, soll die eine darum geben, dass nur der Friede erhalten werde. Es ist besser, eine in gutem Frieden als zwei im Krieg zu besitzen. Wer ein Christ sein will, soll zum Frieden helfen und raten, wo immer er kann, selbst wenn es Recht und Ursache genug zum Kriegen gäbe“.
Heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen...
Hochaktuell ist geblieben, wie er menschliche Verantwortung in einer Mehrere-Generationen-Perspektive definiert: „Man soll arbeiten, als wolle man ewig leben und soll doch so gesinnt sein, als sollten wir diese Stunde sterben.“ Ganz loslassen können und leben, als müsse man ewig leben, also auch übermorgen noch für sein Tun und Lassen einstehen, gehören als christliche Haltungen zusammen. Aus dieser Gesinnung Luthers heraus legte nach dem 20. Juli 1944 ein evangelischer Pfarrer Luther den tröstlichen, hoffnungsstarken und zum Handeln ermutigenden Satz in den Mund: „Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, so würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“
Fromm war Luther als ein im Glauben verwurzelter Mensch, rebellisch als ein gewissensgeleiteter Einzelner, unerschrocken aus Fröhlichkeit.
– ENDE –
Von Friedrich Schorlemmer
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