Hans-Georg Kaiser
Der Horror eines ereignislosen Tages
An diesem Ort geschah am 15. Mai
des Jahres 1785 gar nichts.
Also nicht einmal irgendwelche schläfrigen Füchse
sagten sich Gute Nacht.
Kein benagter Menschenknochen
zeigte sich auf einer Platte
des Restaurants „Hamann und Söhne.“
Kein Bär wollte Honig stehlen
im Laden „Haus der Tausend Dinge“.
Kein überfahrener Igel blieb
auf dem Marktplatz zurück,
um dort um eine letzte Schale
Milch zu bitten.
Aus keiner Mücke wurde ein Elefant gemacht,
und der Bürgermeister vesprach seinen künftigen Wählern
nicht einmal das Blaue vom Himmel.
Niemand starb und niemand wurde geboren
oder hörte den letzten Schuss.
Es war ein Tag an dem die Geschichte
und die Boulevardzeitungen ganz abwesend waren.
Der Tag ohne Ereignis stellte nicht einmal
Vagabunden oder Juden zur Verfügung,
die man auf den Rost spießen könnte,
aus reiner langer Weile.
Wenn wenigstens Tante Schandmaul
auf der ausgelegten Banane böser Buben
hingefallen wäre. Aber ach,
nicht einmal das geschah!
Solche Tage sind nur schwer zu ertragen,
weil das Nichts die lieben Menschen
noch viel mehr ängstigt als der Horror
des Vakuums.
https://hansgeorgkaisergedichte.blogspot.com/
Eben nichts Besonderes - außer dass die Welt schon existierte :-)
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