Am Montag ab 19:30 Uhr ist der 7. "Stammtisch Grundeinkommen" im Kapovaz in Bremerhaven. Diesmal gibt es ein wahnsinnig konkretes Thema: "Warum, oder auch nicht, soll es ein bedingungsloses Grundeinkommen geben und wie kommen wir dahin? Was soll uns das Ganze bringen!".

Eigentlich wollte ich gar nicht hingehen, weil mir im Moment nicht nach solchen Diskussionen ist. Vielleicht gehe ich auch wirklich nicht hin. Aber mir gefällt die letzte Frage (die, die mit einem Ausrufungszeichen endet ;-) ), also die nach dem, was uns das denn bringen soll. Auf die Antworten wäre ich mal gespannt: Was soll das eigentlich?

Im Ernst: Wenn man da mal gegentritt, hat man schon den Begriff "bedingungsloses Grundeinkommen" schnell zerlegt, insbesondere was die Grundidee "alle bekommen es" angeht:

1. Jeder BGE-Ansatz, den ich kenne, muss in andere Sozialsysteme reinwachsen, da er diese auch vom Anspruch her teilweise übernimmt. Wenn aber z.B. Renten als Rechtsanspruch realisiert sind, dann müssen sie beim BGE somit teilweise angerechnet werden.

2. Jeder BGE-Ansatz, den ich kenne, muss auch durch Änderungen am Steuersystem mitfinanziert werden. Damit überlagern sich steuerliche Veränderungen mit dem ausgezahlten Grundeinkommen.

3. Jeder BGE-Ansatz, den ich kenne, hat auch eine irgendwie geartete grundsätzliche Abgrenzung. Irgendwer bekommt es, irgendwer nicht -- und manche nicht in voller Höhe.

Damit ist bei jedem Ansatz die unter'm Strich an den Einzelnen ausgezahlte (oder einbehaltene) Geldmenge jeweils höchst individuell. Sie wird bestimmt durch unterschiedliche Anrechnungseffekte und unterschiedliche Steuereffekte -- und durch die allgemeine Abgrenzung. Kurz: Ein BGE ist eigentlich ein gesamtgesellschaftlicher Eingriff in die Einkommensstruktur der Bevölkerung. Für die einzelnen Bürger aber ist es weder bedingungslos noch in gleicher Höhe.

Außerdem kann kein BGE einfach so eingeführt werden. Auch nicht schrittweise in Stufen. Jeder BGE-Ansatz, den ich kenne, bedarf eines Prozesses, in dem die einzelnen Steuerungsmaßnahmen laufend nachjustiert werden müssen. Maßgeblich für einen Erfolg ist also nicht die Konzeption des vorgedachten Ansatzes, sondern die nachgelagerten Entscheidungen bei der kontinuierlichen Nachjustierung.

Und damit, Stichwort Erfolg, sind wir genau bei jener obigen Frage, was uns das Ganze denn überhaupt eigentlich bringen soll. Das Problem ist ja wohl, dass die Organisation der Gesellschaft über Erwerbsarbeit nicht mehr funktionieren kann und die bisherigen Änderungsversuche (u.a. die Einführung von Niedriglohnsektoren und des Sanktionsregimes) kein tragfähiges Lösungskonzept darstellen. Also braucht es andere Steuerungsmaßnahmenpakete mit mutigeren Ideen.

Aber das Erwerbsarbeitsproblem ist ja nicht das einzige Problem des 21. Jahrhunderts. Auch der Kapitalismus, das Patriarchat und die Religionen kehren verstärkt zurück und drohen zu ernsteren Macht- und Unterdrückungsstrukturen zu werden als je zuvor. Diese Dinge greifen mehr ins Private ein, als es ein Staat je könnte. (Abgesehen vielleicht vom Sozialismus, der diese Machtstrukturen alle gleichzeitig durch eine einzige noch menschenverachtendere zu ersetzen versucht.) Jeder BGE-Ansatz, den ich kenne, berührt aber immer auch in erheblichem Maße alle diese Fragen. Und das meistens zum Negativen.

Man hört sie sehr oft, diese Befürchtung: Ein Grundeinkommen, das von Erwerbsarbeit emanzipiert, öffnet Tür und Tor für die Unterdrückung der Menschen. Aber ein Grundeinkommen, das nicht von Erwerbsarbeit emanzipiert, verstärkt die Gewalt von Niedriglohnsektoren und Sanktionsregime, unterdrückt also genauso. Und tatsächlich muss man diese Befürchtung teilen, da ein einmal ins Rollen gebrachter BGE-Einführungsprozess bzgl. seiner kontinuierlichen Nachjustierung kaum steuerbar sein dürfte. Jeder BGE-Ansatz, den ich kenne, macht sich auf einen Weg, dessen Ziel er nicht vorhersehen kann.

Warum dann also überhaupt Grundeinkommen? Warum ein so großer und unkalkulierbarer veränderlicher Eingriff in die Einkommensstruktur der Bevölkerung? Wird die nächste Krise noch beherrschbar, wenn man zugleich solche Experimente wagt? Und selbst wenn es so ist, dass eine Gesellschaft von klugen freien Menschen nicht ohne Grundeinkommen machbar ist (daran glaube ich), so gilt dennoch auch umgekehrt, dass eine Gesellschaft mit Grundeinkommen nicht ohne kluge freie Menschen möglich ist. Und die Einführung eines Grundeinkommens alleine wird keine klugen freien Menschen hervorbringen.

Also zusammengefasst: 1. So etwas wie ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt es eigentlich gar nicht. 2. Wohin die Einführung eines BGE-Ansatzes die Gesellschaft am Ende geführt haben wird, ist kaum steuerbar. 3. Ein Grundeinkommen kann zugleich manche Unterdrückungsstrukturen abschwächen und andere, schlimmere, stärken. Für das, was man diesbezüglich erreichen will, gibt es aber überhaupt keinen gesellschaftlichen Konsens. 4. Bevor man ein Grundeinkommen einführt, muss man es erst einmal möglich machen. 5. Auch für einen BGE-Ansatz stellt sich die Frage der Nachhaltigkeit. Gut gewollt ist nicht unbedingt auch gut gekonnt.

Es gibt also noch sehr viel zu diskutieren. Und die Frage, was das Ganze denn bringen soll, ist eine der spannendsten. Vielleicht gehe ich am Montag ja doch noch mal zu dem Stammtisch...