Ich war gestern auf einer "Vorträge, Podiums- und Publikumsgespräch"-Veranstaltung vom http://www.grundeinkommen-bremen.de zur bundesweiten http://www.woche-des-grundeinkommens.eu. Vernetzt sind Veranstalter und Dozenten über das Netzwerk http://www.grundeinkommen.de, dessen Mitglied auch ich bin. Hauptgrund teilzunehmen war für mich, daß ich den Bremer Direktkandidaten von http://www.grundeinkommen-ist-waehlbar.de kennenlernen wollte. Er gehört keiner Partei an, sondern mit seinem "Elephant Grundeinkommen" der Grundeinkommens-Bewegung.
Bewegung also.
Als erstes habe ich geguckt, wer sich denn da bewegt. Es waren dort u.a.
- Leute aus anderen Bewegungen (z.B. Direkte Demokratie)
- Leute aus religiös oder spirituell motivierten Kreisen
- Leute mit pauschaler Antikapitalismusgesinnung
- Leute aus Hartz-4-nahen, aber nicht bildungsfernen "Schichten"
Netzwerker also. Und Geisteswesen. Und Systemgegner. Und Armutsgefährdete. Was fehlte, waren die bürgerliche Mitte, sowie Vertreter politischer Parteien. Es war also so ganz anders als der momentane Wahlkampf, in dem sich eben politische Parteien um die Gunst der bürgerlichen Mitte bemühen.
Der Bremer Direktkandidat moderierte die Veranstaltung, und die einzige Referentin -- eine ehrenamtlich tätige Aktivistin der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) -- stellte die Motivation und ein paar Aspekte eines eigenen Modells zum bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) vor. Es war kein BGE-Modell auf Basis sozialer Marktwirtschaft, sondern eher ein sozialistisches Gesamtprogramm ohne Bedarfsprüfung bei der Grundsicherung. Meine Zustimmung fand es in vielen entscheidenden Punkten und Aussagen nicht.
Sehr nett fand ich eine Bemerkung aus dem Publikum: "Ich kann mit einer Intellektualisierung oder einer Emotionalisierung des Themas nichts anfangen." Sie erinnerte mich an den Artikel http://www.grundeinkommen.de/09/09/2009/die-sklaverei-abschaffen.html, jüngst publiziert auf der Hauptseite des Netzwerks Grundeinkommen, der -- wie so viele -- eben beides tut. Und deshalb auch nicht nützlich ist, weil er Menschen, die sich bloß informieren wollen, verwirrt.
So äußerte sich z.B. eine alte Dame aus dem Publikum gestern dann auch bestürzt: Sie besitze ein Haus, erzählte sie, und habe Einnahmen aus Vermietung, sowie eine reichliche Pension. Sie benötige diese Einkünfte auch, weil sie gelegentlich Dinge wie Dach-Reparaturen usw. finanzieren müsse. Wenn es nun ein Grundeinkommen gäbe, dann könne sie das ja alles nicht mehr bezahlen und wisse nicht, wie sie dann klarkommen solle. Ob man denn mit einem Grundeinkommen überhaupt noch ein Haus besitzen dürfte, fragte sie ernsthaft. Für sie war das BGE unverständlich und irgendwie anders, also irgendwie Kommunismus.
Nicht nur dieses Vor- und völlige Fehlurteil hat die Veranstaltung bestätigt. Insbesondere die stammelnde Inhaltleere transportierenden Wort- und vor allen Dingen Gestik-Beiträge des Organisators vertrieben die Besucher zahlreich, schnell und nachhaltig. Es ging nicht um das bedingungslose Grundeinkommen. Es ging um die "Elephant Grundeinkommen"-Kloake im Hirn dieser "wählbaren" Witzfigur auf dem Podium. Zudem konnte keine Diskussion aufkommen, weil Redesekunden von oben herab zugeteilt und Fragen weitestgehend ignoriert wurden. Einige Zuhörer forderten Pragmatismus und fanden Zustimmung. Es blieb ungehört.
Was nun aber habe ich selber getan, um zum Gelingen der Veranstaltung beizutragen? Nun, es gibt viele Möglichkeiten, konstruktiv zu agieren. So beeindruckt mich z.B. immer wieder ein bestimmter Autor einer taz-Kolumne, für deren Beiträge er oft die Form einer Zumutung wählt. Wenn man es gut kann, wirkt manchmal auch die Form der Polemik. Ich habe mich für die Form der Moderne entschieden, d.h. ich habe getwittert. 18 Tweets sind es insgesamt geworden.
Beim twittern sagt man Sätze, die man schon Minuten später so nicht mehr sagen würde. Und man sagt sie gegen ein Publikum, das sie unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle konsumiert. Alle Sätze sind netto Einzeiler, und wenn man sie hinterher aneinanderreiht, sind sie als Gesamttext ohne Struktur und ohne Aussage. Entscheidend ist nur eins: Sie sind live. Und vergänglich. Aber dennoch bildet das Twitterversum in Summe eine Soziokultur, die Dinge bewegt. So bin ich selber z.B. ursprünglich auf die Grundeinkommensbewegung aufmerksam geworden, weil mich ein Grundeinkommen plötzlich bei Twitter verfolgt hat. Von all den Dingen vorher, wie der berühmten Epetition, der großen Götz-Werner-Kampagne, usw., hatte ich nie gehört. Twitter bewegt.
Bewegung. Eigentlich gehört das Thema BGE nicht in eine Bewegung, sondern in die Parteien und Parlamente. Denn das BGE ist ja zuerst mal nur ein Modell, wie man erstens ohne sonstige staatliche Eingriffe die Arbeitsbedingungen im 1. Arbeitsmarkt deutlich verbessern, sowie zweitens im 2. Arbeitsmarkt die Zwangsarbeit abschaffen kann. Mehr nicht. Außerdem reduziert es die Diskriminierung von Nichterwerbs-Arbeit, weil es das Existenz-Einkommen von Erwerbsarbeit entkoppelt. Aber alles andere ist ein anderes Thema. Dumme Kinder, reiche Eliten, usw. kann man auch beklagen, wenn man denn will, aber für die Diskussion um das Grundeinkommen ist das nicht förderlich. Das Thema kann nicht bewegt werden, wenn es überfrachtet wird.
Ein schöner Satz zum Thema bewegen steht auch in der Technology Review (TR) zu lesen (http://www.heise.de/tr/Die-Zukunft-Singularitaet-oder-Fixpunkt--/artikel/145169): "Wir wissen, dass Intelligenz allein nicht genügt, um in der Welt etwas zu bewegen. Man muss auch die Fähigkeit haben, ein Ziel hartnäckig gegen alle Widerstände zu verfolgen und die graue Realität dabei auszublenden – bis hin zur Selbsttäuschung, also gegen die eigene Intelligenz." Und weiter: "Ein intelligentes Wesen kann sich viel mehr Möglichkeiten ausmalen als ein weniger intelligentes. Das muss aber nicht unbedingt ein effektiveres Handeln nach sich ziehen, umso mehr, als manche Möglichkeiten vom ursprünglichen Ziel ablenken könnten". Kurzum: Es braucht eine (politische) Kraft, die das Thema durchpeitscht und keine (intelligente) Bewegung.
Ein letztes Zitat aus dem o.g. Artikel in der TR: "Eins der größten Probleme ist, eine Motivation an die nächste Generation weiterzugeben, um eine große Idee zu verwirklichen." Unsere Kinder lesen nicht nur Zeitung, sondern auch Blogs. Deswegen hatte ich schon im Beitrag "Vollbeschäftigung" ausführlich über die Idee des BGE gebloggt (https://www.test.ipernity.com/blog/rumpel/175541). Das ist mein Beitrag zur Bewegung. Den parteilosen BGE-Direktkandidaten in meinem Wahlkreis, diesen esoterisch angehauchten Spinner Hövener, werde ich aber definitiv nicht wählen. Denn nur weil "wählbar" draufsteht, ist noch lange kein wählbar drin.
Zum Schluß zum allgemeinen Amüsement noch meine Tweets von gestern zum Thema (die Veranstaltung ging von 19-22:15 Uhr):
- Ob ich wohl der einzige bin, der live von der Bremer Grundeinkommensveranstaltung twittert? #bge
- Zwei Referenten weniger: Senator Loske und Prof. Hickel haben abgesagt. #bge #veranstaltung #bremen #grundeinkommen
- Gleich ist der Saal wieder leer, denn haufenweise Leute gehen schon wieder. Der Dozent macht massig #Antiwerbung für das #bge.
- Wenigstens erzählt Birgit Zenker jetzt nicht so einen Stuß wie vorher Jan Hövener über Elefanten. #veranstaltung #bge
- Zenker sagt sehr kluge (allerdings altbekannte) Sachen, ist aber im Punkt #Mindestlohn völlig anderer Meinung als ich. #überraschend #bge
- Das KAB-Modell, von dem Zenker spricht, ist auch in anderen Punkten völlig am Wesen des #bge vorbei. #armselig #veranstaltung #hb
- Hilfe, Hövener redet wieder esoterischen Unfug. So ein Spinner ist eine #Katastrophe für die Idee und die Bewegung des #bge :-(
- Jetzt stellen zig Leute sehr kluge Fragen, aber keiner kriegt irgendeine Antwort, weil keiner Rederecht kriegt. Schwachsinnige Veranstaltung
- Endlich ein guter Satz: "Es geht um den Freiheitsaspekt in der Erwerbsgesellschaft". #grundeinkommen #bge #veranstaltung #bremen
- Jetzt ist auch noch eine #Pause, damit die Zuhörer flüchten können. #bgeveranstaltung #bremen #altespostamt
- Es wird Zeit, daß sich eine #richtige Bewegung des Themas #Grundeinkommen annimmt. #Piraten+ #bge
- Ich ziehe jetzt meine #Piratenpartei-Jacke mit dem "Klarmachen zum Ändern an" #bge #veranstaltung #bremen #piraten+
- Hab ich eigentlich schon erwähnt, daß ich Mitglied im "Netzwerk Grundeinkommen" bin und das Ganze hier eigentlich gut finden sollte? :-(
- Wenigstens ist die Musik sehr gut und mein Akku gleich alle. Ihr seid bald von weiteren Tweets erlöst. :-)
- Da bin ich bis #jetzt geblieben, um zu erfahren, wie das geniale Gesangstrio heißt -- und die Antwort ist "Wir haben keinen Namen" :-(
- Am Schluß war nur noch ein kleines Häufchen übrig, und ich kam mir vor, wie in einer #Sekte. Veranstaltung in Bremen gründlich #gescheitert.
- Ich weiß, mit welchem Motto ich gleich ins Bett gehe: Nicht aufregen. Größer denken. #n8
- Ein Nachschlag noch von #jetztwiederzuhause: Es war #altesfundamt, nicht #altespostamt. #veranstaltung #bremen #grundeinkommen #bge
Den vorletzten Punkt sollte ich besser beherzigen: Nicht aufregen. Größer denken.
Aber irgendwie gelingt mir das nicht.
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