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Literarische Detektive aus aller Welt erörtern Indizien über das Leben und das Werk von B. Traven


Er war wohl Deutscher

Von Frank Nordhausen


Travenologie, das ist die Wissenschaft von B. Traven, dem großen Unbekannten der deutschen Literatur des vergangenen Jahrhunderts, dem Autor von sozialkritischen Erfolgsromanen wie "Das Totenschiff" oder "Der Schatz der Sierra Madre". Traven verstand es lebenslang, seine wahre Identität wie ein kostbares Geheimnis zu hüten - er enthüllte nicht einmal, was das "B" in seinem Namen bedeuten sollte. Nur seine Werke seien wichtig, nicht aber die Person, lautete sein Mantra. Tatsächlich weiß bis heute niemand, wie B. Traven wirklich hieß und warum er seine Existenz verrätselte. Obwohl Traven meist deutsch schrieb und wahrscheinlich Deutscher war, hat es noch nie eine wissenschaftliche Tagung über den eigenartigen Autor in Deutschland gegeben.

Es war also eine Premiere, als der Hamburger Literaturwissenschaftler Günter Dammann Travenologen aus aller Welt vergangene Woche ins ostholsteinische Eutin rief, um "Travens Erzählwerk" zu sichten. Rund dreißig Teilnehmer aus Europa, Amerika und Australien kamen und konnten wieder Neuigkeiten über den 1969 gestorbenen Mystifikateur erfahren - unbekannte Romane, Briefe, auch neue Hinweise auf die Biografie. Während Journalisten und literarische Detektive jahrzehntelang mühsam Indizien über Leben und Werk des Autors suchten, hat sich eine ganz neue Dimension für die Forschung aufgetan, seit die Familie Travens in Mexico City vor rund zwanzig Jahren seinen Nachlass öffnete. Die Familie, in Eutin vertreten durch Travens Stieftochter Malú Montes de Oca, verfährt dabei nach einem undurchschaubaren System; sie gibt die kostbaren Dokumente, es sind tausende, häppchenweise aus ihren Schränken preis. Malú Montes de Oca las beispielsweise in Eutin aus persönlichen Briefen Travens vor, von denen noch niemand zuvor gehört hatte.

Aber nicht nur der Nachlass befördert die Euphorie der Travenologen. Wer Zeit und Kosten nicht scheut, kann seit zehn Jahren auch an der Universität von Kalifornien in Riverside hunderte bisher unbekannter Dokumenten vor allem aus Travens deutscher Zeit einsehen. Riverside hat die größte Traven-Sammlung außerhalb Mexikos aufgebaut; die Universität konnte Dokumente von Travens einstiger Lebensgefährtin Irene Mermet und weitere Archive erwerben. In den kalifornischen Beständen fand der Germanist Jörg Thunecke einen bisher nur dem Namen nach bekannten, unveröffentlichten Roman aus dem Schauspielermilieu mit dem Titel "Der Mann Site und die grünglitzernde Frau", den Traven um 1910 verfasste, als er noch Schauspieler in Düsseldorf war und sich Ret Marut nannte. Der Text erlaube einen neuen Einblick in Maruts damaliges Denken, sagte Thunecke in Eutin. Er nannte ihn aber auch ein "diffuses Machwerk".

Ebenfalls unveröffentlicht ist der Entwurf eines fantastisch-utopischen Romans mit dem Titel "The Lord of Power" aus jener Zeit, als der Autor nicht mehr Ret Marut, aber noch nicht B. Traven war. Darin wird über den Helden festgestellt, dieser wisse selbst nicht, "woher er stammt und wo seine Eltern sind" - gäbe es also gar kein Geheimnis preiszugeben? Es scheint jedenfalls, dass Traven sich mit sehr verschiedenen literarischen Genres beschäftigte, bevor er sich entschied, realistisch zu schildern, was er selbst gesehen und erlebt hatte und was ihn zu einem der meistgelesenen und -übersetzten deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts machen sollte: "wahre Abenteuer". Wie er diese Abenteuer literarisch in Szene setzte, das haben in Eutin vor allem junge Literaturwissenschaftler beeindruckend dargelegt. So wies der Hamburger Doktorand Malte Stein an der Erzählung "Der Banditendoktor" nach, dass der Schriftsteller, dem man oft ein zweifelhaftes literarisches Niveau bescheinigt, ein glänzender Stilist sein konnte, der seine Texte mit erzählerischer Raffinesse komponierte. Dass dies gleichwohl nicht immer der Fall war und Travens Ansichten über Indios und "Neger" zuweilen rassistische Züge trugen, führte zu heftigen Diskussionen. Die Travenologie ist aber längst keine Sache der Weltanschauung mehr, und während es noch auf der vorigen Tagung 1999 in Stockholm so aussah, als ob der Autor, der einmal als sozialer Klassiker galt, völlig in der Vergessenheit versinken könnte, scheint sich das Blatt nun zu wenden. Die Forscher konnten einen von Thunecke edierten Sammelband über "B. Traven, The Writer" erwerben und eine von Christoph Ludszuweit produzierte Elektropop-CD mit Traven-Liedern als "Hommage an einen deutschen Anarchisten".

Es gehört zu den Eigenheiten dieses Kongresses, dass man sich gegenseitig versicherte, dem Willen Travens gemäß nur das Werk, nicht die Person zu untersuchen - und dass die Biografie dann natürlich doch ihre Schatten warf. "Es ist die Pointe dieser Tagung, dass sie dort stattfindet, wo wahrscheinlich die Wurzeln dieses Mannes liegen", sagte Günter Dammann, der Organisator der Tagung. Er bezog sich damit auf eine Expertenanalyse von Stimmaufzeichnungen Travens, welche die Berliner Zeitung vor drei Jahren in Auftrag gegeben hatte und die einen sensationellen Durchbruch für die Erforschung der Biografie bedeutete. Demnach wuchs der spätere Dschungel-Literat in der Umgebung von Lübeck auf, irgendwo am Flüsschen Trave, bevor er Seemann wurde, Schauspieler, Räterevolutionär in München und Schriftsteller in Mexiko. In Eutin konnte dies Karl S. Guthke, Harvard-Germanist und Autor einer monumentalen Traven-Biografie, in seinem Vortrag über Travens Comeback mit der Novelle "Macario" 1950 bestätigen. Traven habe bei einer späteren Ausgabe des aus dem Englischen übertragenen Buches bewusst süddeutsche Ausdrücke des Übersetzers durch eigene, norddeutsche ersetzt, sagte Guthke - ein weiterer Beleg für seine Herkunft aus dem Norden. Nun sollte das Rätsel endlich zu lösen sein.

BERLINER VERLAG B. Traven, der Mann, der seine Existenz verrätselte.


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