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Rebellion gegen unerträgliche Realitäten
Johannes Zeilinger: "Ein träumender Leichnam", Verbrecher Verlag, Berlin 2011, 75 Seiten
Der Berliner Arzt Johannes Zeilinger widmet sich in diesem Essay dem Abenteuerschriftsteller B. Traven - und einem Filmdrehbuch, das nie realisiert wurde. Dabei begibt er sich in die Untiefen psychiatrischer Krankheitsbilder und beleuchtet Travens Spiel mit wechselnden Identitäten.
Nach der Verfilmung seines Romans "Der Schatz der Sierra Madre" hatte der legendäre Abenteuerschriftsteller B. Traven Feuer fürs Kino gefangen. 1948 sandte er dem einflussreichen Hollywood-Agenten Paul Kohner eine weitere Drehbuchidee zu: "Mercedes Ortega Lozano - The story of a frustrated biological instinct" hieß sie und es war die Geschichte einer unglücklichen, mexikanischen Migrantin und ihrer Lebenslüge, eine verheiratete Frau zu sein. Doch Kohners Lektor wusste mit Travens Idee wenig anzufangen; zu wenig Thriller-Potenzial, zu undeutlich die Einordnung als Schizophrenie-Fall, attestierte die Absage dem Skript.
Der Berliner Arzt und Essayist Johannes Zeilinger ließ es dabei nicht bewenden, denn die Überschneidungen zwischen Travens Filmidee und dessen eigenem mysteriösen Leben waren zu offensichtlich. Als versierter Karl-May-Kenner bestens mit literarisch fruchtbaren Pseudo-Identitäten vertraut, spürte Zeilinger der Fußnote im Lebenswerk des rätselhaften Populärschriftstellers im Paul Kohner-Archiv der Deutschen Kinemathek Berlin nach. Sein kleines feines Buch "Ein träumender Leichnam - B. Traven im Dschungel der Psychopathie" ist eine gut lesbare Interpretation der unterschätzten Story, eine Chronik der Missverständnisse um ihre Verfilmbarkeit und nicht zuletzt eine Studie über die Parallelen zwischen Autor und Protagonistin.
Das Filmskript erzählt von Mercedes, einem mexikanischen Zimmermädchen in Texas, das sich am Hochzeitstag am Ziel aller Wünsche glaubt, doch der Geliebte macht sich mit einer anderen aus dem Staub. Diesen Schock überlebt die einsame junge Frau als "träumender Leichnam", der die alte Identität abstreift und die Wunschwelt äußerst realitätstüchtig nachinszeniert. Mercedes täuscht die Hochzeit mit gefälschten Fotos vor, und toller noch: über Jahre verbreitet sie die Illusion, sie lebe als verheiratete Frau, sei schwanger und Mutter eines Sohns geworden. Am Ende ihres Lebens ist die Fiktion so wirkmächtig, dass ihre Umwelt sogar ein falsches Kind an ihr Totenbett führt, von dem sich die Sterbende verabschieden kann.
Ist solch ein Trotz der Fantasie gegen die niederschmetternde Wirklichkeit mit schizophrener Bewusstseinsspaltung und damit einher gehendem Realitätsverlust gleich zu setzen, wie ein Gutachter einst gegen Travens Filmskizze ins Feld führte? Das Buch verortet dessen Urteil anschaulich in den Untiefen der Geschichte psychiatrischer Krankheitsbilder und nimmt Travens Protagonistin vor dem Schizophrenie-Verdikt in Schutz. Viel ergiebiger scheint Zeilinger der Fall der Mercedes Ortega im Hinblick auf den Autor selbst zu sein. War nicht auch B. Traven alias Ret Marut ein Migrant, der von Deutschland nach Mexiko flüchtete, die Rebellion gegen unerträgliche Realitäten in seinen Abenteuerromanen zum Lebensthema machte und dabei manisch sein Inkognito zu wahren bemüht war? Johannes Zeilingers Essay fügt den inzwischen hinlänglich geklärten Fakten über den Schriftsteller und sein Spiel mit wechselnden Identitäten eine unterhaltsame Prise Psycho-Biografie hinzu.
Besprochen von Claudia Lenssen
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1459654/
Johannes Zeilinger, Ein träumender Leichnam - B. Traven im Dschungel der Psychopathie
Verbrecher Verlag, Berlin 2011
75 Seiten, 13 Euro
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