B.Traven
Das Totenschiff

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Büchergilde Gutenberg Berlin 1926





ENTWURF, SATZ UND DRUCK DER BUCHDRUCKWERKSTÄTTE, G.M.B.H. BERLIN / BUCHBINDEARBEITEN DER LEIPZIGER BUCHBINDEREI A.-G.

VORM. GUSTAV FRITZSCHE / NACHDRUCK VERBOTEN / ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER ÜBERSETZUNG VORBEHALTEN

COPYRIGHT 1926 BY B. TRAVEN




ERSTES BUCH


SONG OF AN AMERICAN SAILOR


NOW STOP THAT CRYING HONEY DEAR
THE JACKSON SQUARE REMAINS STILL
IN SUNNY NEW ORLEANS
IN LOVELEY LOUSIANA

SHE THINKS ME BURRIED IN THE SEA
NO LONGER DOES SHE WAIT FOR ME
IN SUNNY NEW ORLEANS
IN LOVELEY LOUISIANA

THE DEATH-SHIP IS IT I AM IN
ALL I HAVE LOST NOTHING TO WIN
SO FAR OF SUNNY NEW ORLENAS
SO FAR OF LOVELEY LOUISIANA



LIED EINES AMERIKANISCHEN SEEMANNS

MÄDEL, HEUL DOCH NICHT SO SEHR,
WART' AUF MICH AM JACKSON SQUARE
IM SONN'GEN NEW ORLEANS
IM LIEBEN LOUISIANA

MEIN MÄDEL GLAUBT, ICH LIEG IM MEER,
SIE STEHT NICHT MEHR .AM JACKSON SQUARE
IM SONN'GEN NEW ORLEANS
IM LIEBEN LOUISIANA

DOCH ICH LIEG NICHT AN EINEM RIFF,
ICH FAHRE AUF DEM TOTENSCHIFF
SO FERN VOM SONN'GEN NEW ORLEANS
SO FERN VOM LIEBEN LOUISIANA


1

WIR hatten eine volle Schiffsladung Baumwolle von New Orleans 'rübergebracht nach Antwerpen mit der S. S. Tuscaloosa.

Sie war ein feines Schiff. Verflucht nochmal, das ist wahr. First rate steamer, made in U.S.A. Heimatshafen New Orleans. Oh, du sonniges, lachendes New Orleans, so ungleich den nüchternen Städten der vereisten Puritaner und verkalkten Kattunhändler des Nordens! Und was für herrliche Quartiere für die Mannschaft. Endlich einmal ein Schiffbauer, der den revolutionären Gedanken gehabt hatte, daß die Mannschaft auch Menschen seien und nicht nur Hände. Alles sauber und nett. Bad und viel saubere Wäsche und alles moskitodicht. Die Kost war gut und reichlich. Und es gab immer saubere Teller und geputzte Messer, Gabeln und Löffel. Da waren Niggerboys, die nichts andres zu tun hatten, als die Quartiere sauberzuhalten, damit die Mannschaft gesund bliebe und bei guter Laune. Die Kompanie hatte endlich entdeckt, daß sich eine gutgelaunte Mannschaft besser bezahlt macht als eine verlotterte.

Zweiter Offizier? No, Sir. Ich war nicht Zweiter Offizier auf diesem Eimer. Ich war einfacher Deckarbeiter, ganz schlichter Arbeiter. Sehen Sie, Herr, Matrosen gibt es ja kaum noch, werden auch gar nicht mehr verlangt. So ein modernes Frachtschiff ist gar kein eigentliches Schiff mehr. Es ist eine schwimmende Maschine. Und daß eine Maschine Matrosen zur Bedienung braucht, glauben Sie ja gewiß selbst nicht, auch wenn Sie sonst nichts von Schiffen verstehen sollten. Arbeiter braucht diese Maschine und Ingenieure. Sogar der Skipper, der Kapitän, ist heute nur noch ein Ingenieur. Und selbst der A. B., der am Ruder steht und noch am längsten als Matrose angesehen werden konnte, ist heute nur noch ein Maschinist, nichts weiter. Er hat nur die Hebel auszulösen, die der Rudermaschine die Drehungsrichtung angeben. Die Romantik der Seegeschichten ist längst vorbei. Ich bin auch der Meinung, daß solche Romantik nie bestanden hat. Nicht auf den Segelschiffen und nicht auf der See. Diese Romantik hat immer nur in der Phantasie der Schreiber jener Seegeschichten bestanden. Jene verlogenen Seegeschichten haben manchen braven Jungen hinweggelockt zu einem Leben und zu einer Umgebung, wo er körperlich und seelisch zugrunde gehen mußte, weil er nichts sonst dafür mitbrachte als seinen Kinderglauben an die Ehrlichkeit und an die Wahrheitsliebe jener Geschichtenschreiber. Möglich, daß für Kapitäne und Steuerleute eine Romantik einmal bestanden hat, für die Mannschaft nie. Die Romantik der Mannschaft ist immer nur gewesen: Unmenschlich harte Arbeit und eine tierische Behandlung. Kapitäne und Steuerleute erscheinen in Opern, Romanen und Balladen. Das Hohelied des Helden, der die Arbeit tat, ist nie gesungen worden. Dieses Hohelied wäre auch zu brutal gewesen, um das Entzücken derer wachzurufen, die das Lied gesungen haben wollten. Yes, Sir.

lch war nur eben gerade schlichter Deckarbeiter, das war alles. Hatte alle Arbeit zu machen, die vorkam. Richtig gesagt, war ich nur ein Anstreicher. Die Maschine läuft von selbst. Und da die Arbeiter beschäftigt werden müssen und andre Arbeit nur in Ausnahmefällen ist, wenn nicht Laderäume gereinigt werden sollen oder etwas repariert werden muß, so wird immer angestrichen. Von morgens bis abends, und das hört nie auf. Da ist immer etwas, das angestrichen werden muß. Eines Tages wundert man sich dann ganz ernsthaft über dieses ewigwährende Anstreichen, und man kommt ganz nüchtern zu der Auffassung, daß alle übrigen Menschen, die nicht zur See fahren, nichts andres tun, als Farbe anfertigen. Dann empfindet man eine tiefe Dankbarkeit gegen diese Menschen, weil, wenn sie sich eines Tages weigerten, noch weiter Farbe zu machen, der Deckarbeiter nicht wüßte, was er tun soll, und der Erste Offizier, unter dessen Kommando die Deckarbeiter stehen, in Verzweiflung geriete, weil er nicht wüßte, was er nun den Deckhands kommandieren soll. Sie können doch ihr Geld nicht umsonst bekommen. No, Sir.

Der Lohn war ja nicht gerade hoch. Das könnte ich nicht behaupten. Aber wenn ich fünfundzwanzig Jahre lang keinen Cent ausgäbe, jede Monatsheuer sorgfältig auf die andre legte, nie ohne Arbeit wäre während der ganzen Zeit, dann könnte ich nach Ablauf jener fünfundzwanzig Jahre unermüdlichen Arbeitens und Sparens mich zwar nicht zur Ruhe setzen, könnte aber nach weiteren fünfundzwanzig Jahren Arbeitens und Sparens mich mit einigem Stolz zur untersten Schicht der Mittelklasse zählen. Zu jener Schicht, die sagen darf: Gott sei gelobt, ich habe einen kleinen Notpfennig auf die Seite gelegt für Regentage. Und da diese Volksschicht jene gepriesene Schicht ist, die den Staat in seinen Fundamenten erhält, so würde ich dann ein wertvolles Mitglied der menschlichen Gesellschaft genannt werden können. Dieses Ziel erreichen zu können, ist fünfzig Jahre Sparens und Arbeitens wert. Das Jenseits hat man sich dann gesichert und das Diesseits für andre.

Ich machte mir nichts daraus, mir die Stadt anzusehen. Ich mag Antwerpen nicht leiden. Da treiben sich so viele schlechte Seeleute und ähnliche Elemente herum. Yes, Sir.

Aber die Dinge im Leben spielen sich nicht so einfach ab. Sie nehmen nur selten Rücksicht auf das, was man leiden mag und was nicht. Es sind nicht die Felsen, die den Lauf und den Charakter der Welt bestimmen, sondern die kleinen Steinchen und Körnchen.

Wir hatten keine Ladung bekommen, und wir sollten in Ballast heimgehen. Die ganze Mannschaft war in die Stadt gegangen am letzten Abend vor der Heimfahrt. Ich war ganz allein im Forecastle. Des Lesens war ich müde, des Schlafens war ich müde, und ich wußte nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Wir hatten um zwölf heute schon Feierabend gemacht, weil dann bereits die Wachen für die Fahrt verteilt wurden. Das war auch der Grund, warum alle in die Stadt gegangen waren, um noch einen Kleinen mitzunehmen, den wir zu Hause nicht haben konnten wegen der gesegneten Prohibition.

Bald lief ich zur Reeling, um ins Wasser zu spucken, bald wieder lief ich in die Quartiere. Von dem ewigen Anstarren der leeren Quartiere und dem ewigen Herunterglotzen auf die langweiligen Hafenanlagen, Speicher, Stapelhäuser, auf die öden Kontorlöcher mit ihren trüben Fenstern, hinter denen man nichts sah als Briefordner und Haufen von beschriebenen Geschäftspapieren und Frachtbriefen, wurde mir ganz erbärmlich zumute. Es war so unsagbar trostlos. Es ging auf den Abend zu, und es war kaum eine Menschenseele in diesem Teil des Hafens zu sehen.

Es überkam mich eine ganz dumme Sehnsucht nach dem Gefühl, festen Boden, Erde unter meinen Füßen zu haben, eine Sehnsucht nach einer Straße und nach Menschen, die schwatzend durch die Straße schlendern. Das war es: lch wollte eine Straße sehen, just eine Straße, nichts weiter. Eine Straße, die nicht von Wasser umgeben ist, eine Straße, die nicht schwankt, die ganz fest steht. Ich wollte meinen Augen ein kleines Geschenk machen, ihnen den Anblick einer Straße gönnen.

„Da hätten Sie früher kommen sollen“, sagte der Offizier, „Ich gebe jetzt kein Geld.“

„Ich brauche aber unbedingt zwanzig Dollar Vorschuß.“

„Fünf können Sie haben, nicht einen Cent mehr.“

„Mit einem Fünfer kann ich gar nichts anfangen. Ich muß zwanzig haben, sonst bin ich morgen krank. Wer soll denn dann vielleicht die Galley anstreichen? Vielleicht wissen Sie das? Ich muß zwanzig haben.“

„Zehn. Aber das ist nun mein letztes Wort. Zehn oder überhaupt nichts. lch bin gar nicht verpflichtet, Ihnen auch nur einen Nickel zu geben.“

„Gut, geben Sie zehn. Das ist zwar ein ganz gemeiner Geiz, der hier an mir verübt wird, aber wir müssen uns ja alles gefallen lassen, das ist man nun schon gewöhnt.“

„Unterschreiben Sie die Quittung. Wir werden es morgen in die Listen übertragen. Dazu habe ich jetzt keine Lust.“

Da hatte ich meinen Zehner. Ich wollte ja überhaupt nur zehn haben. Hätte ich aber gesagt zehn, so würde er auf keinen Fall mehr als fünf gegeben haben, und mehr als zehn konnte ich nicht gebrauchen, weil ich nicht mehr ausgeben wollte; denn was man einmal in der Tasche hat, kehrt nicht mehr heim, wenn man erst in die Stadt geht.

„Betrinken Sie sich nicht. Das ist hier ein ganz böser Platz“, sagte der Offizier, als er die Quittung an sich nahm.

Das war eine unerhörte Beleidigung. Der Skipper, die Offiziere und die Ingenieure betranken sich zweimal des Tages, solange wir nun schon hier lagen, aber mir wird gepredigt, mich nicht zu betrinken. Ich dachte gar nicht daran. Warum auch? Es ist so dumm und so unvernünftig. „Nein,“ gab ich zur Antwort, „ich nehme niemals einen Tropfen von diesem Gift. Ich weiß, was ich meinem Lande selbst in der Fremde schuldig bin. Yes, Sir. Ich bin Abstinenzler, knochentrocken. Können sich drauf verlassen, das bin ich. Ich glaube an die heilige Prohibition.“ Raus war ich und runter vom Eimer.


HINWEIS

Das Buch wurde gescannt, aber nicht korrigiert, so dass Ihnen damit tatsächlich die Erstausgabe ohne jede Änderung, also auch mit allen ihren Fehlern, zur Verfügung steht.

ENDREDAKTION


10.06.2015

traven-esperanto.blogspot.com